Geplapper 2.0
Moderne Kommunikation
Kommunikation ist die entscheidende Schlüsselqualifikation für alle Belange unseres Lebens geworden. Wir müssen nichts können, wir brauchen nichts zu arbeiten, wir müssen es nur richtig kommunizieren. Und so plappern und kommentieren wir auch fleißig im Kreis herum und klopfen uns gegenseitig auf die Schulter ob der Intelligenz unseres Schwarmes.
Tatsächlich ist es auch viel einfacher, die Idee eines anderen in den Abgrund zu kommentieren, als selbst etwas zu erschaffen. Solange es noch ewig gestrige Menschen gibt, die selbst schöpferisch tätig sein wollen, gibt es noch etwas zu kommentieren. Etwas anspruchsvoller wird die Kultur des Plapperns dann, wenn es eines Tages nur noch Kommentare zu kommentieren gibt.
Letzte Woche hat mich ein potentieller Neukunde angerufen und wollte als erstes meine Handynummer haben, um ihm auch in seinen einsameren Stunden zur Verfügung zu stehen. Nun bin ich schon so alt geworden und habe den Schlüssel zur zeitgemäßen Kommunikation offensichtlich immer noch nicht begriffen: Wenn ich nicht arbeite (und das Festnetz immer ohrbereit neben mir liegt), dann sitze ich im Konzert oder im Kino, ich gehe schwimmen oder fahre Auto. Oder ich meditiere in den Wäldern des Sauerlands vor mich hin. Keine perfekten Situationen, um einem Kunden als Seelsorger telefonisch zur Verfügung zu stehen. Und dann verschlafe ich auch noch ein Drittel meines Tageskontingents an Stunden. Aber wie gesagt: Ich habe es einfach noch nicht begriffen.
Wer Erfolg haben möchte, muss wissen, wie man sich mit anderen Leuten vernetzt und wie man „die wichtigen“ Menschen kennen lernt, die das eigene Projekt, Produkt oder eine Idee öffentlich für gut befinden. Wer diese Kunst beherrscht kann praktisch überall erfolgreich sein. Vor allem im kreativen Kontext gibt es kein richtig und falsch, es gibt immer nur ein paar wichtige Leute, die verkünden, was gut ist und was nicht. Und die sollte man auf seiner Seite haben. Oder man sucht sich ein paar weniger wichtige Leute und fängt an, diese öffentlich zu loben. Dann bekommt man auch gerne einmal einen positiven Kommentar (oder auch nur ein like) zurück und schon stehen die eigenen kreativen Ergüsse in einem viel besseren Licht dar. Nicht etwa, weil das Produkt dadurch objektiv besser geworden wäre, sondern weil es Menschen gibt, die sagen, es sei gut.
In der Zeit des Geplappers 2.0 kommen nicht die Menschen nach vorne, die die besten Ideen haben oder viel von ihrem Fachgebiet verstehen, sondern Leute, die sich auf die Kunst des Kommunizierens verstehen. Schade nur, dass unsere Kinofilme, Bücher und Spiele dabei immer einfältiger werden. Sogar die Filmmusik ist nicht mehr das, was sie einmal war. Früher war alles besser! Die Zeit, die man heute zum Kommunizieren braucht, fehlt für die Arbeit.
Aber was will ich mich darüber beklagen? Bin ich doch selbst ein mittelprächtig erfolgreicher Teil dieses Systems. Und wenn es mir noch eines Tages gelingt, mich auch mobil kommunikativ zu entblößen, wer weiß, welche ungeahnte Erfolge ich dann noch feiern könnte.